INTERVIEW
Gert Rappenecker im Gespräch mit Beate Engel (Oktober 2001)

Sowohl in der Skulptur wie in der Malerei hast Du immer wieder die Grenzen traditioneller Medien und Motive gesprengt. Deine Auseinandersetzung mit Landschaftsansichten zum Beispiel zeugt von einem sehr ambivalenten Verhältnis zur romantischen Naturauffassung. Was bedeutet "Landschaft" für Dich?

Mein Denken und Fühlen hat sich im urbanen Raum entwickelt. Ich habe keine intensive Beziehung zur Natur, obwohl ich sie durchaus geniessen kann. Sie hat für mich eher den Stellenwert einer verlassenen Heimat, die man überwunden zu haben glaubt, die man aber sehr vermisst und in die man nicht zurückkehren kann. Die Landschaft ist für mich ein abstraktes Phänomen, das sich sehr gut eignet als Projektionsfläche für private und öffentliche Sehnsüchte. Man erwartet in der Ferne Freiheit, Glück, Macht, die heile Welt, Ewigkeit - Sehnsüchte, die vor allem über die Medien generiert werden. Die Landschaft ist somit ein grandioses Remake, wo sich die Hoffnungen und Ideale am Horizont bündeln. Irgendwie sehe ich alle meine Arbeiten als Teile dieser Landschaft.

Ausgangspunkt für Deine Landschaftsbilder waren nicht reale Naturlandschaften, sondern mediatisierte, idealisierte Bilder aus Tourismusprospekten, die Du fotokopiert und schwarz/weiss übermalt hast. Eine Absage an das Wahre, Ursprüngliche, mit dem "Natur" immer noch konnotiert wird?

Der Begriff Natur ist inzwischen nicht mehr denkbar, ohne ihre mediale Darstellung oder das Phänomen des Massentourismus zu berücksichtigen. Das wird besonders evident bei Landschafts-Events wie etwa dem Grand Canyon, dem Monument Valley oder den Niagara Falls. Frederick Church hat im 19. Jahrhundert für sein atemberaubendes Gemälde "Niagara Falls" exakt denselben Standort ausgewählt, den heute unzählige Touristen, Landschafts- und Werbefotografen einnehmen, um sich ihre Bilder zu machen. Auch meine Niagara Version in der Serie der "Landschaften" basiert auf dieser Perspektive. Es scheint also einen optimalen Blickwinkel für das Erhabene zu geben, den man virtuell schon mehrfach eingenommen hat, bevor man die Landschaft "in natura" erlebt.

Dein Blickwinkel ist ein reflektierender, distanzierter. Doch paradoxerweise entstehen durch die Distanzierung vom Sujet und Deine Weiterverarbeitung mit technischen und manuellen Reproduktionsverfahren wiederum "schöne" Bilder, die dem klassischen Kanon des Sublimen und der Originalität jedenfalls auf den ersten Blick sehr nahe kommen.

Es geht um Sehnsuchtserzeugung, sowohl in den Medien wie auch in meiner Arbeit. Das Ziel der Medien ist der Verkaufserfolg. Dazu werden "schöne" Bilder kreiert. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, sie liessen mich gänzlich unberührt. Ausserdem arbeite ich seit vielen Jahren auch als Fotomodell und Darsteller in Werbefilmen, was mir sozusagen eine interne Perspektive auf dieses System der Verführung bietet. Ich benutze diese "schönen" Bilder für meine künstlerische Strategie. Ich will die Betrachter zunächst einmal verführen und orientiere mich dabei an der Herkunft der Bilder. Ich gehe den Umweg einer teilweisen Affirmation, ziele jedoch auf eine zwar leise, aber dezidierte Brechung des ursprünglichen Inhalts. Dafür suche ich mir das themenadäquate Material und geeignete Transformationsmethoden. Es gibt nichts, was ich ausschliesse, weder kunstgeschichtlich anerkannte Techniken, noch die Kitschästhetik oder die trügerische Schönheit der Werbung. Mich interessieren mediale Übersetzungen und Techniken, die eine distanzschaffende Wirkung haben. Distanz ist für mich ein Auraverstärker.

Du glaubst also trotz allem noch an die Aura der Bilder?

Ja, obwohl ich die Autonomie des Kunstwerks bestreite, glaube ich an eine Aura, an eine Wirkungskraft des Bildes, die jenseits der rationalen Rezeption liegt.

....und das Sublime?

Ich nehme nicht für mich in Anspruch, etwas Sublimes zu schaffen. Jedoch habe ich eine gewisse Affinität zu Motiven des Sublimen, die sich in der Wahl meiner Themen und Bildquellen niederschlägt. Es findet eine Rückkoppelung statt zwischen dem ursprünglichen Bild und meinem Bild, zwischen den mediatisierten, somit kollektiven Sehnsüchten und Emotionen und meinen eigenen Träumen oder auch Ängsten. Die Motive werden einerseits ausgehöhlt, andererseits wieder neu befrachtet. Dadurch wird das Sujet wiederum mystifiziert. Das ist eine Interaktion, die nie aufhört.

Während Deine Landschaftsbilder keine direkt sichtbaren zeitgenössischen Elemente enthalten, verweisen die Landschaften in Deinen Installationen wie "Krater" oder "Somewhere not here" auf aktuelle gesellschaftliche Gegebenheiten, zum Beispiel auf die Konsumrealität. Oft sind es ganz banale Massenartikel des täglichen Bedarfs, wie Autoteile oder Kühlakkus aus dem Campingbedarf, die Du in archaisch anmutende Szenerien integrierst.

Diese Produkte aus der Warenwelt erscheinen mir als signifikante Bestandteile unserer Realität, unserer Alltagsästhetik. Ich will sie nicht sozialkritisch bewerten, aber sie sind für mich, oder besser gesagt für mein übergeordnetes Landschaftsbild, wie technologisches Treibgut, das aus einer fremden Welt angeschwemmt wurde. Ich untersuche diese profanen Dinge zunächst auf ihre atmosphärischen und metaphorischen Qualitäten, nehme sie dann aus ihrem normalen Kontext heraus und gruppiere sie in einem neuen Zusammenhang.

Diese Konstellationen erscheinen teilweise absurd und surreal im Sinne "einer zufälligen Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch". Und doch verknüpfst Du die verschiedenen Readymades auf eine Art und Weise, die über eine Bedeutungslosigkeit à la Duchamp hinausgeht.

Die Gegenstände, die ich in meinen Installationen aneinander reihe, haben vielleicht auf den ersten Blick keine logische Verbindung miteinander. Dennoch hat ihre Auswahl und Komposition eine innere Notwendigkeit. Es geht mir nicht wie bei Duchamp um eine Sinnentleerung, sondern im Gegenteil um Inhalte, beziehungsweise um eine Relativierung der konventionellen Bedeutungen. Die Installationen haben einen gewissen assoziativen oder narrativen Wert. Oft nehme ich persönliche Erlebnisse und Eindrücke als Ausgangspunkt, ohne sie jedoch illustrieren zu wollen. Bei "somewhere not here" war das zum Beispiel ein schwerer Autounfall.

Diese autobiographische Ebene löst sich in einem sehr konsequenten Formenvokabular auf. Das Stapeln und serielle Anordnen von Reifen und Kühlakkus in "Somewhere not here" erinnert an Positionen der Sechziger Jahre wie der Minimal Art.

Um diese emotionalen Inhalte auf einer allgemeingültigen, metaphorischen Ebene zu artikulieren, beziehe ich mich auf das Formenvokabular der Minimal Art, die ja programmatisch das Individuelle und jede Form von Narrativität, Illusion oder Realität ausserhalb des Werkes verweigert. Doch im Unterschied zu diesen Positionen ist es mir wichtig, meine subjektive Sichtweise und Handschrift einzubringen.

Dies ist besonders bei den "Pulps" erkennbar, einer Serie von Aluminiumblöcken mit zerstückelten und neu kombinierten Zitaten aus Horoskopen, die Du Lifestyle-Magazinen entnommen hast. Diese Blöcke, die an genormte Goldbarren erinnern, tragen persönliche Spuren Deiner Autorschaft, die Abdrücke Deiner Finger. Ist dies auch ein Verweis auf Deine Vergangenheit als Bildhauer?

Ja, ich verwende und zitiere gewissermassen die traditionelle Gusstechnik. Ich wende das bildhauerische Prinzip auch auf semantischer Ebene an, indem ich von aussen nach innen gehe. Durch Reduzieren, Deformieren und Segmentieren der profanen Texte erhalten die zukunftsträchtigen Sätze eine merkwürdige Allgemeingültigkeit, wie zum Beispiel "Certain things have not materialised and possibly they never will." Was in Objektform an der Wand hängt, ist sozusagen ein verbaler Torso, der massenmedial geweiht und skulptural gefestigt zu einer Art Ikone avanciert.

Zur Textebene kommt auch die Soundebene hinzu, die jeweils ein wichtiger Bestandteil Deiner Installationen ist. In der Installation "Twilight zone" in der Galerie Martina Detterer waren es Ausschnitte aus Filmdialogen, die aus kleinen Nebelquellen kamen. Deine Installation "Krater" in der Kunsthalle St. Gallen bestand aus einem Kreis von Windschutzscheiben, der mit Styropor aufgefüllt war und in dem Transistorradios vergraben waren, die Störgeräusche aussendeten, "Somewhere not here" wird von einem Herzschlag beherrscht, der aus den Autoreifentürmen kommt. Warum kombinierst Du intime Motive und Hintergrundgeräusche mit technoiden eher anonymen Assoziationsfeldern?

Ich strebe eine subtile Verschiebung der Realitätsebenen an. Wirklichkeit, Fiktion und Privates treffen so aufeinander. Ich möchte einen diffusen Zustand entstehen lassen, der zwischen dem Realen und Surrealen oszilliert, eine Ambivalenz von sinnlich Erfahrbarem und dem Körperlosen. Es gibt Verweise auf kosmische, organische Bereiche, doch die seismografischen Schwingungen wurden klar erkennbar auf technischem Wege simuliert, mit durchschaubaren special effects. Dadurch entsteht eine spezielle Atmosphäre, im Zwischenraum zwischen Natur, Technik und Künstlichkeit.

Während Richard Long mit seinen Steinkreisen Referenzen zu wirklichen Landschaftssituationen aufbaut, lässt Du mentale Landschaften oder Situationen entstehen, die wohl archaische Verweise in sich bergen, aber eindeutig zeitgenössisch oder sogar futuristisch sind. In der Installation "Long way" dient der Strahl eines Laser Pointers dazu, eine leise, immatrielle Ejakulation zu suggerieren. In "Twilight zone" gibt es statt einem realen "Lightning field" leuchtende Sprudelsäulen und in "Somewhere not here" steht eine soundsensitive Plasmascheibe im Zentrum, die in einem in Kies begrabenen Lastwagenreifen eingelassen ist und auf das raumerfüllende Pochen des auf CD konservierten Herzschlags reagiert. Die Plasmascheibe sendet Blitze aus, die normalerweise im Discobetrieb für Stimmung sorgen. Ist das ein ironischer Kommentar zur Land Art und ihrem Anspruch auf Authentizität?

Die Land Art ist für mich immer noch faszinierend im Rückblick auf die Sechziger. Sicherlich beziehe ich mich unter anderem auf Richard Long, Robert Smithson oder Walther de Maria. Aber es ist natürlich klar, dass diese Form von romantischer Haltung nicht mehr einlösbar ist. Ich docke an meine jetzige Wirklichkeit an, indem ich versuche, Landschaftserlebnisse komprimiert und in überschaubarer Dimension, quasi "en miniature" zu erzeugen. Dabei bediene ich mich unter anderem der Lunapark- oder Automarkt-Ästhetik.

Autobestandteile tauchen immer wieder in Deiner Arbeit auf, ob es die "Sublime Paintings" sind, die Du mit Autolack besprüht hast oder Deine Installation in der Kunsthalle St. Gallen, wo Du mit Windschutzscheiben gearbeitet hast. Roland Barthes hat das Auto in seinen "Mythologies" als "das genaue Äquivalent der grossen gothischen Kathedralen bezeichnet, eine hervorragende Zeitschöpfung, die von unbekannten Künstlern geschaffen wurde". Wie ist Deine persönliche Haltung zu diesem mobilen Massenprodukt?

Das Auto ist eine Ikone der Jetztzeit. Es spiegelt viele unserer Sehnsüchte wie den Wunsch nach Freiheit, Ungebundenheit, Luxus...dient als Statussymbol....ist eine Hülle unseres Selbst. Aber es spiegelt natürlich auch in jedem Detail den technologischen Entwicklungsstandard unserer Gesellschaft. Blinder Fortschrittsglaube ist heute sicher nicht mehr angebracht, aber einer gewissen Faszination für das Auto oder andere technische Errungenschaften kann ich mich nicht entziehen.

In "Somewhere not here" scheint der dynamische drive des technischen Fortschritts zum Stillstand gekommen, die dionysische Freizeitgesellschaft auf Eis gelegt. Ilya Kabakov spricht von "erstarrten Momenten", wenn er seine Installationen beschreibt. Doch bei seinen Installationen gibt es meistens einen eindeutigen dechiffrierbaren Ortsbezug. In Deinem "Ersatzteillager" riecht es "authentisch" nach dem Gummi der Autoreifen, doch es scheint trotzdem irgendwie nicht von dieser Welt zu sein, sondern in einer Art Vakuum ausserhalb von Raum und Zeit zu existieren, eben "Somewhere not here". Das Ganze erscheint mir wie eine Szene aus einem Science Fiction Film, wo jemand auf die Pausetaste gedrückt hat. Für mich sind es diese Momente des Stillstands, der Unentschiedenheit, des sich unterschwellig Anbahnenden, die die Faszination Deiner Installationen ausmachen.

Meine Installationen sind konstruiert, artifiziell und auch für mich nicht bis ins Letzte entschlüsselbar. Ich versuche Ihnen eine gewisse irrationale Dimension zu belassen. Daher sind sie wahrscheinlich ziemlich "phony"

Auch in Deinen "Screen Paintings" und Filmzitaten sind es Scheidepunkte, die Du bearbeitest, Momente, wo sich emotionale oder katastrophale Höhepunkte anbahnen... "Somewhere not here", wo und was ist das? Sind es apokalyptische Endzeitszenarien, kurz vor dem Overkill? Oder soll ich diesem Satz aus Deiner "Pulp"-Serie glauben: "This is a time of endings and beginnings but the final outcome will be very positive."?

Auch wenn meinen Arbeiten vielleicht eine gewisse Melancholie anhaftet, sehe ich die Installationen nicht als Endzeitszenarien. Eher als eine Auszeit oder einen Time Lag, in dem das Konkrete wegdriftet ins Abstrakte. Grundsätzlich hat so ein Stillstand ja etwas sehr Konstruktives und auch sehr Attraktives, da er im dramaturgischen Sinne die Spannung auf das Kommende erhöht. Und er birgt potentielle Energien in sich. Ähnlich wie ein Torso, der in der Regel dynamischer ist als die vollständige Skulptur, da die fehlenden Gliedmasse eine unendliche Vielfalt an Interpretationen bieten.